Krankenschwester Helga
Schon als Kind wollte sie gern diesen Beruf ergreifen. Sie fühlte sich fast wie berufen, Menschen in schwierigen Lebenssituationen zu helfen. Voller Enthusiasmus absolvierte sie ihre Ausbildung und setzte sich engagiert für mehr Menschlichkeit im Krankenhaus ein. "Ich wollte alles besser machen und mich durch die routinierte Kühle der Examinierten nicht von meinen Zielen abbringen lassen." Nach dem Examen hoffte sie, ihren glühenden Idealismus in die Pflege Schwerstkranker einbringen zu können, sie wollte sich ganz für diejenigen einsetzen, die die Zuwendung ihrer Meinung nach am dringendsten benötigen. Ihr damaliger Freund akzeptierte Helgas völliges Aufgehen im Beruf anfangs; war er doch selbst durch den Aufbau eines kleinen Geschäfts stark beansprucht. So lebten sie eher nebeneinander her als miteinander. Helga nahm immer Anteil am Schicksal ihrer Patienten und benötigte all ihre Energie für deren Pflege, für das Verdrängen der seelischen Belastungen und für die Strapazen des Schichtdienstes.
Während ihr Freund Olaf bald die ersten Erfolge durch Aufträge und positive Rückmeldungen verbuchen konnte sowie durch geschicktes Delegieren an erste Angestellte sich Ruhepausen gönnte, quälte Helga sich zunehmend mit dem Erleben von unabwendbarem Leid und Tod herum. Mürrische ("undankbare") Patienten strapazierten ihr Nervenkostüm, und Kritik von oben über die vermeintliche Vernachlässigung der notwendigen Stationsarbeiten rieb sie mehr und mehr auf. Unausweichlich drängen sich Fragen auf: "Bin ich für diesen Beruf geeignet? Warum stecke ich die Belastungen nicht so gut weg wie die anderen? Waren meine Vorstellungen zu verklärt?" Es begann eine Flucht in die Routine; ihre Zweifel versuchte sie zu verdrängen, scheinbare innere Ruhe und einige Stunden Schlaf vermochte sie medikamentös zu erzwingen. Helga schildert, dass sie sich damals selbst immer weniger leiden mochte, ihre
eigenen zynischen Bemerkungen hasste und sich von Schuldgefühlen verfolgt empfand. Obwohl ihr Körper deutliche Warnsignale in Form von Seh- und Kreislaufstörungen sowie vermehrter Grippeanfälligkeit aussandte, versuchte sie, die Erschöpfungsanzeichen zu ignorieren und sogar noch zusätzliche Energiereserven zu mobilisieren. Die Krise verschärfte sich weiterhin dadurch, dass Olaf größere Ansprüche an Helga als Partnerin und Frau des Geschäftsinhabers anmeldete. Da eine solche Energierücknahme vom eigenen beruflichen Engagement von Helga als Niederlage empfunden worden wäre, kam es zur Trennung. Als besonders schlimm empfand Helga zu dieser Zeit die Tatsache, dass "man" im Kollegenkreis nicht über Belastungen, Schwächen und Grenzen redete, sondern Fassaden aufbaute und ihr das Gefühl vermittelte, nur sie selbst sei so schwächlich und anfällig und sie müsse sich nur mehr zusammenreißen.
Helga hatte Glück. Sie erhielt die Gelegenheit, an einer Supervisionsgruppe teilzunehmen. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe von Menschen in ähnlicher beruflicher Situation, die in entspannter Atmosphäre unter fachlicher Anleitung ihrer Sorgen und Nöte am Arbeitsplatz offen besprechen, aber auch die aufgestauten Aggressionen oder Tränen befreien können. Für Helga bedeuteten die Gespräche eine große Entlastung. Zum erstenmal seit langer Zeit hatte sie wieder das Gefühl, normal und nicht unzulänglich zu sein. Die Gruppe half Helga, Sinn und Stellenwert ihrer beruflichen Tätigkeit neu zu bewerten. Als Konsequenz gönnte sie sich einen längeren, erholsamen Urlaub mit einer guten Freundin und ließ sich danach auf eine andere Station versetzen. So vermochte sie, den Prozess des Ausbrennens zu stoppen und mit der freigewordenen Energie den beruflichen und privaten Alltag zu ihrer Zufriedenheit neu zu gestalten.
Die Skala des Ausbrennens
Vergegenwärtigen Sie sich die letzten sechs Monate. Haben Sie Veränderungen an sich oder Ihrer Umgebung bemerkt? Denken Sie an das Büro, die Familie, an gesellschaftliche Ereignisse.